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Über die ärztliche Behandlung von Behandlungsfehler-Opfern

Inzwischen ist man in der Erforschung des Placebo-Effekts in ärztlicher Behandlung und bei Medikamenten recht weit vorgedrungen. So kann es inzwischen als gesichert gelten, dass unser Gehirn allein durch unsere Erwartung einer Heilung bestimmte Botenstoffe aussendet, die unsere Krankheitssymptome lindern können. Diese neuronalen Wirkmechanismen bewirken, dass auch ein Scheinmedikament durchaus die gleiche heilende Wirkung vollbringen kann, wie eine echte Substanz. Aber auch ein gutes Gespräch mit einem Arzt oder einer Ärztin kann eine eben solche Wirkung hervorbringen und unsere Hirnnetzwerke in die Funktion versetzen, Heilung zu fördern und die Krankheitssymptome zu lindern. Es ist kein Geheimnis, schon die bloße Zuwendung zu einem Menschen hilft diesem.

 

Wie aber sieht es für diejenigen aus, die Opfer eines ärztlichen Behandlungsfehlers geworden sind?

 

Sie gehen ja gerade nicht geheilt und gar nicht gesund aus einer ärztlichen Behandlung oder Operation heraus, sondern im Gegenteil schwer geschädigt. Nicht nur ihr Körper ist geschädigt; verstümmelt, verwundet oder verletzt. Auch ihre Seele hat eine überaus schwere Verwundung davon getragen. Hatten sie doch dem Arzt vertraut. An dieses Krankenhaus geglaubt, gemeint, dass da schon alles richtig laufen würde, dass alle dort engagiert wären, um ihnen bei ihren Krankheits-symptomen in bestmöglicher Weise zur Seite zu stehen und ihnen zu helfen ...

 

Und nun finden sie sich nach einem Eingriff stattdessen in einer schlimmen und für sie erst einmal unerträglichen Lage wieder. Langsam erfassen sie, dass nichts besser geworden ist, im Gegenteil. Kaum können sie begreifen, wen sie da wiederfinden. Was von diesem Ich noch übrig geblieben ist, wenn sie nach einer misslungenen Operation wieder zu Bewusstsein kommen. Dies ist eine äußerst schwierige Grenzsituation, wie sich jeder von uns unschwer vorstellen kann.

 

Da hatte jemand vielleicht schon länger lästige Rückenschmerzen ... Aber an sich selbst herunter zu blicken und zu befreifen, dass man seine Beine nicht mehr - nie mehr wieder - wird bewegen können ... Das ist doch etwas vollkommen anderes, als die vom Arzt eventuell vorhergesagten, operativen Nach-Schmerzen, die nach kurzer Zeit überwunden wären.

 

So ein anschaulicher, beliebig aus der Vielzahl der mannigfaltigen Behandlungs-fehler herausgegriffener Fall mag genügen, um jedem von uns sofort zu verdeutlichen, in welch außerordentlicher Lage sich ein Behandlungsfehler-Opfer befindet, wenn es erkennt, dass die ärztliche Behandlung kein Heil, sondern ein persönliches Unheil gebracht hat. Diese körperlichen und seelischen Schmerzen des unfassbaren Verlustes eines Betroffenen sind für gesunde Menschen wohl nur mit dem Ausmalen eines Aufenthalts in der Hölle vorzustellbar. Diese Höllenqual des "Nie-Wieder" wird von nun an das gesamte Leben des jeweiligen Patienten oder der Patientin kennzeichnen. Das Behandlungsfehler-Opfer kann dem Verlust von Lebensqualität, in all ihren möglichen Facetten, nicht mehr ausweichen. Es muss vor allem lernen, dies zu akzeptieren.

 

In der Regel brauchen die von einem Behandlungsfehler Betroffenen nun aber dadurch, dass sie durch eine ärztliche Fehlleistung schwer geschädigt und erkrankt sind, statt eines Weniger ein Mehr an ärztlicher Behandlung. Leider.

 

Ein ärztlicher Behandlungsfehler ist für den Patienten keine leichte Sache, nichts, was sich rasch, oder überhaupt einmal, vergessen ließe. Dafür wird das gesamte Leben viel zu sehr in Mitleidenschaft gezogen und von Verlusten durchzogen. Gleiches gilt im Übrigen für die Angehörigen, die hierdurch ebenfalls schwer getroffen wurden. Da ist eine Ehe oder Beziehung von Partnern schnell nicht mehr die Ehe, die sie einmal war, eine Kindheit geht rasant schnell verloren in dem schweren Leid von Vater oder Mutter ...

 

Kommen wir aber zurück auf den oben beschriebenen und in der Placebo-Forschung herausgefundenen Heil-Effekt in ärztlicher Behandlung, der das Gehirn eines Menschen, und damit die gesamte Persönlichkeit des Patienten, auf die Erwartung hin ausrichten soll, dass ihm durch Medizin und Mediziner geholfen werde.

 

Wie ergeht es nun - nach seiner schwerwiegenden Erfahrung - dem Gehirn eines Behandlungsfehler-Opfers, wenn es sich - und davon braucht es nun sicher viele Male - weiter in ärztliche Behandlung begeben muss? Sich vielleicht sogar erneut, und nicht selten mehrfach, operieren lassen muss?

 

Die Botenstoffe, die durch die Erwartungshaltung hier freigesetzt werden, lassen sich leicht vorstellen. Sie dürften im Gehirn mit hoher Sicherheit etwas in Gang setzen, was sich in den Phänomenen von Zittern,  Bewusstlos-Werden, Sterben-Wollen, Weglaufen-Müssen, Panik und so fort wiederspiegelt.

 

Es ist mir vollkommen unverständlich, wie man die Behandlungsfehler-Opfer bis heute allein ihrem Schicksal überlassen kann. Auch von medizinischer Seite. Es gibt keinen Ansprechpartner für ein menschliches Gespräch. Die nachfolgend behandelnden Mediziner reagieren in der Regel irritiert, bestürzt, ja sogar den Patienten teils beschuldigend, da so ein Behandlungsfehler natürlich nicht sein darf. Deshalb bleibt die Schuld an dem Opfer kleben. Irgendwo muss sich ein Sündenbock finden lassen. Das kann und darf doch nicht der Mediziner-Kollege gewesen sein. 

 

Diesem Denkmodell folgt bis heute auch die deutsche Rechtssprechung, in der das Behandlungsfehler-Opfer weiter herabgesetzt und schikaniert wird, indem der nun schwer Erkrankte den medizinischen Fehler mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit "beweisen" muss. Und darüber hinaus "beweisen" muss, dass genau dieses eine ärztliche Handeln oder Unterlassen punktgenau diese schlimmen Folgen hervorgebracht hat. Beides ist eine überzogene Forderung, sie ist unerfüllbar und genau das ist ihr Sinn und Zweck. Zur großen Freude der Ärzteschaft und der ärztlichen Haftpflicht-Versicherungskonzerne. Letztere können immer noch etwas mehr Profit gut gebrauchen, erstere weiterhin unbescholten dastehen. Dies ist der tiefere Sinn, der  allen Behandlungsfehler-Prozessen zugrunde liegt.

 

Statt einer zu wünschenden Aufgehobenheit und Sorge für einen Verunglückten folgen für diesen also lange, lange Zeiten, ja Jahrzehnte, der juristischen und versicherungstechnischen Verfolgung, der Verleumdung und - ja, man darf an dieser Stelle durchaus einmal das harte Wort verwenden - der Vernichtung eines Menschen. Sein Fehler: er war einmal der Patient eines Arztes, dem er vertraute.

 

Es ist mir ein Rätsel, wie aufrechte und engagierte Ärzte diese Verfahrensweisen mit Menschen, die ihre Patienten sind, ertragen. Und wenn es auch nur die Patienten eines Kollegen, eines anderen Mediziners sind, so gehört dieser doch zum gleichen Berufsstand. Und der ist durch ständig steigende, aber vertuschte Behandlungsfehler-Zahlen und Hiobs-Nachrichten aus der Welt der Medizin bei der überwiegenden Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen schon längst in Zweifel, wenn nicht Verruf, geraten. 

 

Es wäre Zeit für die Standesorganisationen der Ärzte, hier endlich tätig zu werden. So ein Behandlungsfehler rüttelt an den Grundfesten, auch bei Ärzten. Man merkt es daran, dass die Problematik des Umgangs mit den Betroffenen bislang offiziell erfolgreich abgewehrt wird.

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