Aus dem Vorwort

"Ein Buch muss die Axt sein

für das gefrorene Meer in uns."

                                                                                                 Franz Kafka

In diesem Buch erzähle ich in aller Offenheit die von mir erlebte Geschichte eines ärztlichen Behandlungsfehlers. Ich habe erfahren, wie schutzlos wir sind, wenn ein Mediziner uns falsch behandelt. Was ist passiert?

 

Ich bin Journalistin, Filmemacherin und Autorin. Es ist Anfang Juni 1999. Da erkranke ich plötzlich an einer Thrombose. Ein Blutgerinnsel verstopft eine Vene, was sich durch eine schmerzhafte Schwellung außen am Po bemerkbar macht. Eine ganz gängige Erkrankung, bei mir hervorgerufen durch eine sehr lange Autofahrt bei Hitze.

 

Ich suche einen Facharzt auf. Dieser beruhigt mich, es handle sich um eine harmlose Erkrankung; die Schwellung werde sich in drei bis fünf Tagen von selbst zurückbilden. Ich kenne den Arzt nicht. Inzwischen rückt das Wochenende näher. Meine Schmerzen werden schlimmer, die Gewebsschwellung nimmt weiter zu. Um mich zu beraten, telefoniere ich mit meinem langjährigen Hausarzt. Er meint, eine solche perianale Thrombose sei äußerst schmerzhaft, er kenne dies aus eigener Erfahrung. Das einzige Mittel, das helfen würde, sei die Eröffnung der Vene durch einen minimalen Einstich und das Entfernen des Thrombus (Blutgerinnsels). Die kleine Wunde verheile anschließend innerhalb von zwei Tagen. Die Prozedur sei unaufwendig und völlig harmlos. Er bestellt mich für den folgenden Freitagmorgen in seine Praxis. Dann wäre ich nach dem Wochenende beschwerdefrei ...

 

Aber es kam anders. Zum damaligen Zeitpunkt war ich zweiundvierzig Jahre alt. Zwei niedergelassene Ärzte in einer deutschen Großstadt, mein Hausarzt und der ambulant operierende Chirurg, an den jener mich nach dem Auftreten einer schweren Blutung überwies, haben sich derart an meinem Körper und meiner Seele vergangen, dass ich durch viele Höllen gehen musste ...

Der Chirurg soll die geschnittene Öffnung nähen und so die starke Blutung zum Stillstand bringen. Was er tut, raubt einem dem Atem. In fünfzehn Minuten schneidet sein Skalpell bei nur örtlicher Betäubung in einem seiner Operationsräume eine riesige Wunde in mich hinein. Diese näht er im Anschluss an seine Prozedur sehr ausgreifend zu ...

 

Es war ein Augenblick, der alles für mich veränderte! "Sie haben mir mein Ich, das Zentrum meiner Lebensenergie, herausgeschnitten" - dies wird mein vorherrschendes Gefühl für Jahre. Der Bericht der Notoperation, mit der mir der Oberarzt der Chirurgie zwei Tage später in der Universitätsklinik das Leben rettete, hält alle Beschädigungen genau fest. Eine weitere, schwierige Korrektur-Operation wird drei Wochen später erfolgen. 

 

Meine Strafanzeige gegen die beiden Ärzte wird abgeschmettert. Ich gewinne die zwei folgenden, zivilrechtlichen Prozesse vor dem Land- und dem Oberlandes-Gericht. Aber bis heute habe ich keinen Schadensersatz erhalten. Mit im Brennpunkt des Geschehens steht eine Staatsanwaltschaft, die einen medizinischen Gutachter hinzuzieht, der mit dem angeklagten Chirurgen bestens bekannt ist. Dieser"Gut"-Achter urteilt über meinen Fall, ohne nur eine einzige Krankenunterlage von mir einzusehen, geschweige denn, mich zu untersuchen oder zu befragen. Dabei bezieht er sich ganz offiziell ausschließlich auf die Ausführungen der Rechtsanwälte der beiden angeklagten Ärzte. Auf zehn Seiten voller Widersprüche schreibt er, die Operation sei völlig korrekt ausgeführt worden. Meine Akte wird unter Bezug auf dieses "Gutachten" von der Staatsanwaltschaft sofort geschlossen, die Ermittlungen eingestellt, ohne dass auch nur die geringste Klärung meiner "medizinischen" Behandlung herbeigeführt worden wäre. Weder in der Tatsache, dass die vermeintliche "Operation" des Chirurgen von 1882 oder vielleicht aus den 1930gern stammte , so dass ihre furchtbaren körperlichen Folgen längst bekannt sind, und sie keine Anwendung mehr finden sollte, noch in meiner fehlenden Einverständniserklärung erkannte der Staatsanwalt auch nur das kleinste Problem. Der Chirurg selbst konnte auf die Frage des Richters nach der Diagnose oder einer Bezeichnung für die Operation keine Antwort geben ...

 

Es gab viele, mögliche Zeugen, die alle nicht  befragt wurden. Ich selbst auch kaum, bzw. nur zu unwichtigeren Fragen. Wenn ich vor Gericht etwas anmerken wollte, ermahnte man mich zur Ruhe und sagte, ich sei jetzt nicht dran. Ich war im Besitz zahlreicher, ärztlicher und heilpraktischer Atteste über meinen katastrophalen, körperlichen - und inzwischen auch psychischen - Zustand, aber die wurden seitens des Oberlandesgerichts vom Tisch gewischt mit der Urteils-Bemerkung, ich hätte nicht richtig an der Prozessführung mitgearbeitet. Dies quittierte man mir schriftlich im Anschluss an beide zivilrechtlichen Prozesse, die ich führte. Deshalb könne man diese Atteste jetzt nicht mehr berücksichtigen. Getadelt wurde hier angeblich - so wird es mir ein weiterer Rechtsanwalt später erklären - der Rechtsanwalt, der mich die ganze Zeit in der Prozessführung begleitet und in die Irre geführt hat, so auch "versäumte", diese Unterlagen rechtzeitig vorzulegen. Hierzu gehörte im Übrigen auch, das bereits in großen Teilen geschriebene Buchmanuskript, das viel mehr Aussagekraft hat als ein heute allseits empfohlenes Opferprotokoll. Aber dies konnte ich damals überhaupt nicht erfassen oder begreifen, da im Urteil, das mich später per Post in die Rechtsanwaltskanzlei erreicht, nur direkt ich angesprochen, der Rechtsanwalt aber vollkommen außen vor gelassen wurde. 

 

Nun hören wir inzwischen immer häufiger von sogenannten "ärztlichen Kunstfehlern". Sie haben anscheinend nichts mit uns und unserem Leben zu tun, denn so etwas passiert uns, als aufgeklärtem und kritischem Menschen nicht - denken wir. So habe auch ich einmal gedacht. Bis mir die geschilderte Geschichte zustieß. Mir, einer Journalistin, die gewohnt ist, gründlich zu recherchieren. Mir, einer Akademikerin mit ausgewiesener Bildung, mit vertieften Kenntnissen medizinischer Zusammenhänge und – aufgrund eines Sprachenstudiums – sogar eines Verständnisses für die lateinischen Fachbegriffe ...

 

In meinen vielfältigen, jahrelangen Erfahrungen verdeutlicht sich wie nebenbei auch der Chauvinismus, mit dem Ärzte sich gerade an einer Frau "vertun", ohne an Konsequenzen für sich oder gar für ihr eigenes Leben denken zu müssen. Dies betrifft nicht nur die beiden angeklagten Operateure, die mir - ohne vorherige Aufklärung und ohne meine Unterschrift als Zeichen meines Einverständnisses (!) - im Zentrum meiner Weiblichkeit herumschnitten und mich anschließend nach ihren(!) Vorstellungen zunähten. In den folgenden Notoperationen und Beratungsgesprächen bin ich weiter vielen Ärzten begegnet. Der männliche Kollege, der unzweifelhaft und deutlich sichtbar eine gravierende Fehloperation durchgeführt hat, wird in einer Haltung aus verdrängter Angst und Abscheu verteidigt. Da der Mediziner nicht irren kann, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, versucht Mann auf subtile oder auf unverhohlene Weise der Patientin eine Schuld überzubraten. Ihre Probleme werden als frauenspezifisch und daher minder bedeutsam (!) abgeurteilt mir dem Ziel, die Frau mundtot zu machen: "Ach, Sie sind einfach zu sensibel! Nun vergessen Sie das Ganze!" -

Ob ein Arzt mit vernähten Genitalien zu der geratenen Ruhe imstande wäre?

 

Mein Leben könnte zerstört sein. Aber ich habe Kraft daraus bezogen, in diesem Schicksalsschlag einen Sinn zu sehen. Wenn mir, als berufsmäßig Schreibender, eine solche Geschichte zustößt, dann kann das nur den einen Sinn haben: dass ich berichten soll. Berichten von meinen Erfahrungen, die ein Symptom für die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland sind. Erzählen von dem einen konkreten Fall, stellvertretend für die vielen PatientInnen, denen von schlecht ausgebildeten, mensch-lich unzulänglichen, ja unter Umständen perversen Medizinern ihr Leben, oder ein wesentlicher Teil davon, geraubt wird, und die häufig genug in unwürdiger Einsamkeit dahinsiechen müssen, ohne eine menschliche oder soziale Unterstützung zu erhalten. Stellvertretend für die, die noch nicht einmal ihre Geschichte erzählen können... Mögen diese sich beim Lesen dieses Buches in ihrem Schicksal ein bisschen weniger einsam fühlen ...  

 

Die ersten Aufzeichnungen schrieb ich auf Drängen einer Rechtsanwältin, damit die Geschehnisse für die spätere Gerichtsverhandlung nicht vergessen würden. Damals fühlte ich mich dem Schreiben kaum gewachsen, weinend formulierte ich die ersten zwanzig Seiten. Mein heute in Tagebuchform vorliegender Erfahrungsbericht erzählt von den Übergriffen approbierter Ärzte auf mich als Patientin. Wie unter einem Brennglas tritt in meiner Geschichte der nahezu rechtsfreie Raum zutage, in dem unsere Ärzte trotz bestehender Gesetze praktizieren. Hier ist der Übergang zur Körperverletzung fließend, die Folgen für Leib und Seele können verheerend sein. 

 

Mein Tagebuch gleicht einem Kriminalroman, seine Schilderungen sind so spannend wie unfassbar, angefüllt mit Vorkommnissen, die niemand glauben möchte. Aber es ist meine wahre Geschichte ... 

 

Meine Geschichte geht weiter bis zum heutigen Tag. Bitte weiterlesen im Kapitel "PatientInnenrechte", wo ich die Entwicklung seit den Behandlungsfehlern und seit Erscheinen meines Buches skizziere.