MEDIZINRECHT

Von einem Recht, das keines ist -

die Rechtsformel des Patientenrechtegesetzes ist zum Nachteil für die Betroffenen

Die Flut von Nachrichten, die einen inzwischen täglich zum Thema Behandlungsfehler in ärztlichen Behandlungen erreichen, ist kaum noch zu übersehen. Durch die enorm hohen Fallzahlen und die noch wesentlich höheren Dunkelziffern drängt sich das Thema immer mehr in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Selbst das Ärzteblatt berichtet jetzt über die Zunahme von Behandlungsfehlern und die Techniker Krankenkasse möchte sich auch gern ins Boot setzen und hat kürzlich Zahlen bekannt gegeben, nach denen durch die TK im vergangenen Jahr vierzehn Millionen Euro aufgrund von Fehlbehandlungen von Ärzten und Kliniken als Regressforderungen geltend gemacht wurden. Man möchte sicher gern neue Mitglieder mit einer solchen Nachricht anwerben, die ja erstmal gut und imposant daherkommt. Dabei klingt es irgendwie nach dem Verdienst der Krankenkasse? Ist es ja auch.

 

Und die Betroffenen der Behandlungsfehler selbst?

Darüber verlautet in dem Bericht der Techniker Krankenkasse nichts. Nur am Rande wird erwähnt, dass lediglich 61 Fälle von knapp 1.500 angezeigten vor Gericht verhandelt wurden. Leicht ist zu verstehen, was diese Zahlen bedeuten.

 

Eine gerichtliche Klage für eine Entschädigung ist für die Betroffenen so gut wie aussichtslos. Entschädigung erhalten in der Regel die Krankenkassen, die eine viel bessere, da mächtigere Verhandlungsbasis mit den ärztlichen Haftpflichtversicherungen einnehmen. Sie haben ausgezeichnete Rechtsabteilungen und Kanzleien, die diese Fälle übernehmen und den ärztlichen Haftpflichtversicherungen die Zahlungen nahelegen. Während der schwer erkrankte Patient immer ärmer wird und mehrheitlich auf der Strecke bleibt.

 

Die Ursache hierfür ist nach wie vor das Patientenrechtegesetz mit seinen unhaltbaren Forderungen der Beweislast auf dem geschädigten Patienten und dem damit zusätzlich verbundenen Nachweis, dass die Schädigung eindeutig nur und ganz allein von dem ärztlichen Fehler verursacht wurde, was schon logisch unmöglich ist. Denn es geht um Menschen, zusätzlich um kranke Patienten, da ist es mit der eineindeutigen Logik so eine Angelegenheit. Aber um dies zu verstehen, muss man eben die Grundzüge der formalen Logik kennen, was man sehr wohl von einer studierten Philosophin, offfenbar aber nicht vom Gesetzgeber oder von den Juristen erwarten kann.

 

Wer dies genauer begreifen möchte, den verweise ich auf mein Buch Die Wunde in mir, in dem ich die vor Gericht geforderte "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" einer logischen Analyse unterziehe und herausarbeite, dass es menschenunwürdig ist, so etwas von einem Schädigten oder einem Opfer resp. dem zugehörigen Richterspruch und Urteil überhaupt nur zu fordern. Das Patientenrechtegesetz ist insofern geradezu eine Beleidigung des menschlichen Verstandes, denn es formuliert in einer Verschleierung ein vermeintliches Recht, das für die Patienten überhaupt nicht besteht. Ein Taschenspielertrick der besonderen, juristischen Art also.

 

In meinem speziellen Fall wurde meine Klage wegen eines Behandlungs-fehlers abgewiesen, bei dem ein Arzt mir eine Wunde geschnitten und dabei eine Arterie getroffen hatte, woraufhin es zu einer starken, unhaltbaren Blutung gekommen war. Die Begründung der Richter im Urteil: Ich könne ja nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beweisen, dass es nicht geblutet hätte, wenn der Arzt keinen Schnitt gemacht hätte. Durch das Patientenrechte-gesetz eingefordert wird als Bedingung für einen solchen Richterspruch eine 95-prozentige Wahrscheinlichkeit. Dies ist mit der Formel "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" gemeint, damit Richter einen Behandlungsfehler überhaupt als solchen anerkennen. Und damit auch die Entschädigungsforderungen eines schwer erkrankten Opfers.

 

Hier wird etwas real Unmögliches verlangt. Wer wäre denn in der Lage, in einem solchen Fall präzise 95 Prozent an Wahrscheinlichkeit zu bemessen? Die Richter? Zugleich ist es unmöglich - wie in meinem Fall verlangt - zu beweisen, dass etwas zu einem Zeitpunkt nicht hätte geschehen können, zu dem es real aber nun einmal geschehen ist. Dazu müsste ich in der Lage sein, die Richter, den Arzt und mich selbst in der Zeit zurückzuversetzen und meine Wunde nach dem Schnitt nicht bluten zu lassen!

 

Eine vollkommen absurde Forderung. Die gleichwohl in den Zeilen des Patientenrechtegesetzes als Vorschrift für die Richter steckt. Die meisten Menschen sind aber keine Juristen und verlassen sich nach wie vor allein auf den wohlklingenden Namen, den unser Gesundheitsministerium dem Gesetz wohlwollend verlieh. Obwohl dieses, das sei nebenbei bemerkt, in der juristischen Praxis überhaupt nichts Neues gebracht hat.

 

Der Name Patientenrechtegesetz ist unzutreffend. Es enthält leider mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts (und hier stimmt der Begriff vielleicht zum ersten Mal, allerdings mit mehr als 95 Prozent), was ein reales und praktizierbares Recht für die Betroffenen von ärztlichen Behandlungsfehlerndarstellen könnte. Nur weil es einen so schönen Namen hat und die Menschen in Deutschland nicht glauben möchten, dass sie dermaßen abgewiesen würden, wenn ihnen in einer ärztlichen Behandlung wirklich einmal etwas Schlimmes passieren sollte, können sowohl der Gesundheitsminister als auch alle anderen Organe im Gesundheitssystem weiterhin behaupten, es gäbe ein Recht für Patienten in Deutschland. 

 

Dabei gräbt sich ein solcher juristischer Umgang mit den Opfern von Behandlungsfehlern erneut in ihre Wunden. So werden nicht wenige durch den zugehörigen Gerichtsprozess von Anfang an zusätzlich traumatisiert. Denn für Opfer ist es schwer zu ertragen, erneut so gedemütigt zu werden. Und sei es nur durch vollkommen absurde Argumentationen. Das Patientenrechtegesetz ist und bleibt eine Schande für Deutschland. Dem entspricht, dass es in anderen europäischen Ländern ausreicht, dass  die Richter (mit überwiegender Wahrscheinlichkeit) verstehen, dass die Schädigung ohne den Eingriff des Arztes nicht passiert und hervorgerufen worden wäre. Dafür reichen also sozusagen nur 51 Prozent, will heißen, die bloße, auf der menschlichen Erkenntsnisfähigkeit beruhende Einsicht eines Richters.

 

Offenbar traut man Richtern in unseren EU-Nachbarländern etwas mehr Einsichtsfähigkeit in der Vertretung eines Opfers gegenüber der Kaste der Mediziner zu. Wenn es der allgemein verständlichen Wahrscheinlichkeit entspricht, bekommt der Betroffene dort die gerichtliche Anerkennung und eine entsprechende Entschädigung seitens der ärztlichen Haftpflicht-versicherung. 

 

Da unsere Krankenkassen, wie beispielsweise die TK, ja gar nicht vor Gericht gehen müssen und kraft ihrer Rechtsabteilungen direkt mit den ärztlichen Versicherungen verhandeln können, erklären sich die hohen Zahlen ihres geltend gemachten Regresses quasi von selbst.

 

berliner-zeitung.de am 7.2.2017: "Entschädigungsfond für Opfer von Behandlungsfehlern gefordert"

ärztezeitung.de am 5.2.2017: "Immer mehr Patienten beklagen Behandlungsfehler"