Meine PatientInnen-Un-Rechte

Mir ist etwas Unglaubliches passiert. Ohne mich aufzuklären, und ohne mein Einverständnis, haben mich zwei Ärzte ihren Behandlungen unterzogen. Ich wurde hierdurch im Zentrum meiner Persönlichkeit, und insbesondere auch in meiner Weiblichkeit, beschnitten und verstümmelt. 

 

Wenn ich auch unterscheiden möchte  - der Fehler des Hausarztes ist in meinen Augen anders zu beurteilen als der des Chirurgen - so hat es mich ab dem damaligen Zeitpunkt, der sogleich eine schwerkranke Frau aus mir machte, erschüttert, dass ein solches Geschehen in Deutschland nicht nur möglich ist, sondern dass nichts von den Vorgängen wirklich aufgeklärt wurde. Dadurch tritt zutage, wie ungesichert Patientinnen und Patienten hierzulande wirklich sind. Und, was ihnen durch die juristische Grundlage zugemutet wird.

 

Bei folgendem Vorgang ließ die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen einstellen, weil sie einen parteilichen Gutachter hinzuzog:

 In nur etwa fünfzehn Minuten schnitt der Chirurg in einem seiner OP-Räume eine riesige Wunde in mich hinein. Diese nähte er im Anschluss an seine Prozedur mit sehr dicken, chirurgischen Fäden kreuz und quer bis einschließlich eines Teils meiner Scheide zu. Mich irritierten damals sofort seine nachfolgenden Worte: "Und zuhause spreizen Sie jetzt immer mal schön die Beine, gel?“

 

Nur zwei Tage danach rettete mir der Operateur in der Universitätsklinik um ein Uhr nachts das Leben, weil nichts mehr aus mir hinaus konnte, denn ich war ja engstens zusammengenäht. In einer ersten Notoperation wurden mir vorerst nur all die Fäden entfernt, mit denen der ambulant operierende Chirurg wohl seine ausgedehnt geschnittenen Wunden vertuschen wollte. 

 

Jetzt konnte ich mit einem Handspiegel schon äußerlich eine etwa Handteller große Wunde erkennen, die aussah, als hätte man einem zweijährigen Kind beim Steak-Essen zum ersten Mal ein Messer in die Hand gegeben. Kreuz und quer zogen sich Schnitte über mein zartes Gewebe! Und innerlich ging es ja weiter. Ich war für eine sehr, sehr lange Zeit kaum noch bei Bewusstsein vor Schmerzen! Eine große Korrektur-Operation nur drei Wochen nach der Notoperation und ein langes Jahr der Bettlägerigkeit unter Morphintropfen folgten. Ich lag den ganzen Tag  auf meinem Bett, gehen - oder treffender formuliert: trippeln - konnte ich lange nicht mehr als zehn Schritte. Eine Krankenschwester kam zu uns nach Hause, um mir täglich eine Thrombose-Spritze zu geben. Ich wog damals bei einer Größe von 172 Meter noch 42 Kilogramm. Sie scheute sich jedes Mal, in meinen abgemagerten und mit der Zeit vollkommen blauen Bauch zu stechen …

 

In dieser Zeit der Bettlägerigkeit rief ich bei der Polizei an und bat um die Aufnahme meiner Anzeige gegen beide Ärzte wegen Körperverletzung. Es kamen zwei Polizisten des nahegelegenen Reviers an mein Krankenbett zuhause. Ich erzählte ihnen, was mir passiert war und sie sagten, ich solle mir lieber einen Rechtsanwalt suchen, denn das wäre doch zu groß und zu wichtig. Damit alles gleich in die richtigen Kanäle käme.

  

Da ich ja nicht aufstehen konnte, rief ich bei der Verbraucherzentrale an, und ließ mir eine für diesen Fall geeignete Anwältin nennen. Diese beriet sich am Telefon mit mir, hörte meine Geschichte, machte sich Notizen und stellte für mich die Strafanzeige. 

 

Daraufhin wurde, soweit mir bekannt ist, ein Durchsuchungsbefehl der beiden Arztpraxen angeordnet. Das sah wohl so aus, dass zwei Beamte zu den Ärzten gingen und sie zur Herausgabe meiner Patientenakte aufforderten. Bezeichnenderweise widersetzte sich der Chirurg auf der Stelle. Er bestand sofort darauf, erst mit seinem Rechtsanwalt zu sprechen. Erst, nachdem dieser ihm gesagt hatte, es sei besser für ihn, wenn er meine Unterlagen übergeben würde, überreichte er den Kripobeamten eine kaum aussagekräftige Patientenakte unter meinem Namen.

 

Ich hatte insbesondere auf die Bedeutung der Fotos hingewiesen, die er - das war für mich einer der schrecklichsten Momente - ohne eine Ankündigung, plötzlich, und mit Blitzlicht von mir und meiner Wunde angefertigte, vor und nach seiner "Behandlung" , als ich nackt und so entsetzlich hilflos auf seinem OP-Tisch lag. Natürlich ging ich davon aus, dass diese jetzt von der Kripo eingezogen würden. Zusammen mit vielen anderen Polaroids, zu denen er sie - das hatte ich noch gesehen - noch im Operationsraum in ein Kästchen einsortiert hatte.

 

Was mit meinen Fotos passierte, was mit den anderen Fotos, entzieht sich meiner Kenntnis. Jahre später befanden sich meine beiden Fotos in den Händen der beiden Rechtsanwälte des Chirurgen! Ich erfuhr nur deshalb davon, weil sich der Gutachter der Staatsanwaltschaft, mit dem der Chirurg ja befreundet war, plötzlich auf diese zwei Fotos bezog. Dieser vom Staatsanwalt ausgewählte und beauftragte Gerichts-gutachter, ein Professor der Chirurgie, benutzte die Fotos gegen mich, indem er eine Reihe von Behauptungen durch die Fotos begründet sehen will, die unhaltbar sind.

 

Jahre später erst konnte ich mich auf eine sehr präzise Recherche in dieser Frage begeben. Da erfuhr ich, dass die Ausführungen des Gutachters in Bezug auf meine Fotos, mit denen er die „Exzellenz der durchgeführten Operation“ belegen wollte, von chirurgischer Seite her unhaltbar sind. Mal abgesehen davon, dass Fotos in heutiger Zeit auch immer manipulierbar sind. Ebenfalls brachte ich bei dieser Gelegenheit sehr schnell in Erfahrung, dass der Gutachter und der betreffende Chirurg sich sehr gut kannten, ja wohl befreundet waren. Aber da war es schon zu spät. Die übrigen Fotos aus der Praxis hatte man offenbar auch nicht sichergestellt, jedenfalls wurde darüber nichts bekannt. Der Chirurg selbst wird auch kaum auf ihre Existenz hingewiesen haben.

 

Zur Zeit als die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde, konnte ich gar nichts tun. Ich stand quasi permanent unter Morphium, weil meine Schmerzen unaushaltbar waren. So blieben alle Dinge so stehen, wie sie dort erarbeitet, oder eben übersehen, wurden. 

 

Die Rechtsanwältin der Verbraucherzentrale hat sich nicht ein einziges Mal zu mir begeben, obwohl ich sie darum bat. Insgesamt bekam ich den Eindruck, dass sie sich nicht besonders um meinen Fall bemühte, die Fotos wurden nicht sichergestellt und anderes mehr. Dem Chirurgen wurden zum Beispiel noch sehr lange Zeit später zahlreiche Möglich-keiten zu seiner Rechtfertigung eingeräumt. So reichte er ein - in meinen Augen gefälschtes -  Befundpapier über das bei mir heraus geschnittene Gewebe nach, was das besonders großzügige Beschneiden (immerhin bis hin zu meiner Scheide) rechtfertigen sollte. Niemand hat sich mit der Tatsache befasst, dass er mich über diese Befund-Einholung, und infolgedessen Weitergabe meines Gewebes, an einen Pathologen hätte aufklären, und mich um meine Genehmigung hätte bitten müssen. Wieder einmal fehlte irgendwo meine Unterschrift. Wieder einmal interessierte dies nicht. 

 

Auch auf dem Einweisungszettel, den mein Mann noch in der Praxis des niedergelassenen Chirurgen abgeholt hatte, als ich wegen der anschließenden Notoperation ins Krankenhaus musste, ist eindeutig eine Diagnose nachträglich handschriftlich eingetragen. Auch dies hat niemanden jemals interessiert, so scheint es. 

 

Zusätzlich machte er aus seiner Praxis in der Zwischenzeit rasch eine Doppelpraxis mit einem ärztlichen Teilhaber. Mit diesem zusammen entwarf er eine neue Hochglanzbroschüre, in der gewisse grundsätzliche Verhaltensweisen und Informationen für ambulante Operationen ausgeführt worden. Auch diese legte er später zu seiner Rechtfertigung vor, um damit zu demonstrieren, dass ich sehr wohl seitens seiner Praxis aufgeklärt worden wäre (?!). Mit einer allgemeinen Broschüre, die zu der Zeit, als ich bei ihm auf dem OP-Tisch lag, noch gar nicht existiert haben konnte, weil es sich damals noch gar nicht um eine Doppelpraxis handelte! Was könnte dreister sein? 

Aber allein die Tatsache, dass er es offenbar nötig hatte, nachträglich Beweise vorzubringen, Nachträge in Krankenakten vorzunehmen usw. wurde von niemandem während all der Gerichtsprozesse beachtet, war niemals Thema.

 

Außer für mich die Strafanzeige zu stellen, tat die Rechtsanwältin nichts weiter. Da ich von ihr also nicht den allerbesten Eindruck bekam, ich stand meiner eigenen Ansicht nach beinahe ohne rechtlichen Schutz da, suchte ich mir einen der damals bekanntesten und von Ärzteseite gefürchtetsten Rechtsanwälte, der diverse Prozesse in Millionenhöhe für Patienten zur Durchsetzung ihrer Rechte führte. Wie die Gespräche bei ihm abliefen, schildere ich ausführlich in meinem Buch.

 

Aus der Zeitung erfuhr ich einige Zeit darauf, dass dieser achtundfünfzigjährige Rechtsanwalt, der meinen Fall gerade übernommen hatte und vormals in gutem gesundheitlichen Zustand war, eines Tages tot am Schreibtisch seiner Kanzlei aufgefunden wurde. Er hatte wohl am frühen Abend noch an seinen Akten gearbeitet.

 

Eine junge Rechtsanwältin derselben Kanzlei übernahm kurzfristig meinen Fall, und wir legten Berufung gegen die Einstellung des staatsanwaltlichen Verfahrens gegen die Ärzte ein. Zu dieser Zeit erfuhren wir durch das Gerichtsgutachten plötzlich, dass meine Fotos sich in den Händen der den Chirurgen vertretenden Rechtsanwälte befanden. Meine Rechtsanwältin verlangte, dass man uns die Fotos aushändigte. Da wurden uns alle möglichen Schwierigkeiten und Dreistigkeiten zugemutet! So erhielten wir nach langem Hin und Her das Recht, die von mir unerlaubt gemachten Fotos für kurze Zeit zu behalten, die ich nutzte, um mir Kopien anzufertigen. Ich bin auch bis heute nur im Besitz dieser Kopien der von mir gemachten Polaroids. Wo die Originale verblieben sind, entzieht sich meiner Kenntnis.

 

Die junge Rechtsanwältin wurde dann schwanger. So landete ich bei meinem inzwischen vierten Rechtsanwalt, einem jungen Nachfolger in eben dieser Kanzlei. Weiterhin vertraute ich darauf, dass dies gut sei.

 

Leider traf dies nicht zu. Er hat so gravierende Fehler gemacht, dass vieles im Prozess leider unberücksichtigt blieb. Auch hierzu möchte ich im Genaueren auf mein Buch verweisen. Alles, was ich vorschlug, redete er mir aus, obwohl ich damit richtig lag. Ich bin nur keine Juristin, stand nach wie vor unter sehr großen Schmerzen und litt wie wahnsinnig unter meiner gesamten Lage. Schließlich hatte ich eine kleine Tochter, mein Mann hatte vor den Ereignissen einen schweren Herzinfarkt erlitten, meine Mutter kam jetzt parallel durch einen weiteren, schwerwiegenden Arztfehler ums Leben … Sie war schon über achtzig Jahre alt und ich hatte sie wegen meiner Situation in ein Pflegeheim geben müssen. Dort hatte ihr ein Arzt eine sehr starke Schmerzspritze (Diclophenac) gegeben und sie allein gelassen. Mit dem nachfolgenden Schockzustand wurde lange falsch umgegangen, es dauerte alles zu lange, man ließ sogar einen Rettungswagen einmal wieder wegfahren … All dies entspringt nicht meiner Phantasie, ein Zivildienstleistender des Pflegeheims war so entsetzt über das, was er dort erleben musste, dass er es mir erzählen musste. Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt bei Freunden weit weg und konnte nicht rechtzeitig dort sein. Aber die Ärztin des großen Unfallkrankenhauses sprach mich immer wieder darauf an, dass sie wisse, dass diese Dinge mit meiner Mutter nicht korrekt abgelaufen seien, dass ich doch bitte einer Obduktion meiner Mutter zustimmen möge … 

 

Ich konnte dies nicht. Ich fand zwar als erstes die leere Spritzen-schachtel, als ich in das verlassene Zimmer meiner Mutter kam. Im Beipackzettel, der sich ausgefaltet neben der Schachtel fand, war der anaphylaktische Schock als mögliche Nebenwirkung erwähnt. Sie selbst hatte offenbar schon einen Verdacht gehegt. Doch ich hatte nun so gar keine Kraft mehr. Schon in meiner eigenen Sache merkte ich doch, wie mit Arztfehlern umgegangen wurde. Und da sollte ich den Körper meine Mutter aufschneiden und in Einzelteile zerlegen lassen? Warum? Wozu? Ich hatte meinen Glauben an die Gerechtigkeit in diesen Dingen schon nahezu verloren. Und ich musste zum ersten Mal in meinem Leben zu einer einmaligen Einnahme von starken Beruhigungsmitteln greifen, um bei der Beerdigung meiner Mutter anwesend sein zu können. 

 

Wie ich in meinem Buch erzähle, gewann ich die beiden nachfolgenden zivilrechtlichen Prozesse. Ich habe die Fehler meines damaligen Rechtsanwalts nicht sehen, nicht erfassen können. Heute weiß ich, dass er mir häufig eiskalt ins Gesicht gelogen hat, nur damit seine Fehler nicht aufflogen. Ihn - beziehungsweise seine Berufshaftpflicht hätte dies ein paar tausend Euro gekostet. Mich hat es viel, viel mehr - vor allem Nerven, Unendliches an Lebenszeit und eine unfassbar große Menge Geld gekostet.

 

Da ich die Prozesse gewonnen hatte, und er mir laufend versprach sich im Anschluss mit dem Ausrechnen meiner Schadensersatzforderungen zu befassen, um diese gegenüber den ärztlichen Versicherungen geltend zu machen, zweifelte ich gar nicht daran, dass dies dann auch so passieren würde. Aber er ließ sich monatelang entschuldigen, rechtfertigte die lange Wartezeit mit dem Umzug der Kanzlei, die sich enorm vergrößert und verbessert hatte. Die zwei verbliebenen Rechtsanwälte waren jetzt in eine der teuersten Innenstadtlagen gezogen.

 

Dann schickte mich mein neuer Hausarzt zu einem Professor für Verhaltenstherapie und Psychiatrie. Dieser erfasste gleich im ersten Gespräch meine außerordentlich schwierige und vor allem ungesicherte und undefinierte Lebenssituation. Er diagnostizierte sofort präzise eine "Posttraumatische Belastungsstörung". Und er benannte auch die Ursache hierfür. Solange ich unter so miserablen existenziellen Bedingungen leben müsste, ohne Wiedergutmachung  einer traumatischen Situation und ohne Schadensersatz für meinen langjährigen Berufsausfall, könne ich gar nicht mit dem schlimmen Erlebnis und meinem körperlich schlechten Zustand zurechtkommen. Von Gesund-Werden konnte ja sowieso keine Rede mehr sein, nach den schweren Operationen, die ich in dieser Zeit zusätzlich noch überstehen musste. 

 

Damals habe ich einen anderen Rechtsanwalt aufgesucht. Ich erhielt von dem Professor eine Adresse, da er meinte, sie würden inzwischen mehrere Opfer von Arztfehlern betreuen - diese Vorfälle nähmen ja immer mehr zu - und dieser Anwalt sei gut und effektiv (später von mir darüber befragt, zog er sich hinter die Aussage zurück, er kenne diesen nicht wirklich, sie hätten ja nur einmal im gleichen Verein Fussball gespielt). 

 

Ich schaute zunächst ins Internet und erfuhr, dass dieser Rechtsanwalt auch für die Patienteninitiative arbeitete und allein die Seite von geschädigten Patienten vertrat. Warum hätte ich all diesen Informationen misstrauen sollen? 

 

Im ersten Gespräch mit ihm wurde ich zum ersten Mal mit der Tatsache konfrontiert, dass der mich bislang betreuende Rechtsanwalt überhaupt Fehler gemacht hatte. Dies zu erfahren, stürzte mich komplett in eine Re-Traumatisierung. Ich begann sofort, stark zu zittern und bekam kaum Luft. Trotzdem bestand der Anwalt auf sofortiger Unterschrift zweier Vollmachten. in der Zielsetzung, möglichst rasch zu seinem Honorar zu kommen, schaffte er es, mich auch später bei Telefonaten so zum Zittern zu bringen, dass ich auch in der Folge ein Papier unterschrieb, dass ich nicht hätte unterschreiben sollen. Aber ich verstand die Trag-weite dessen gar nicht, er klärte mich nicht richtig darüber auf. Auch dieses Mal sollte ich erst Jahre später die Wahrheit hierüber in Erfahrung bringen. Denn nun wurde es noch schwieriger, meine Schadensersatz-forderungen durchzusetzen.

 

Es war schlimm und wenn ich an den Kontakt zu diesem Anwalt denke, fange ich sofort an zu zittern. Ich hatte ihm alle Unterlagen übergeben, das waren mehrere Aktenordner fein säuberlich und chronologisch von mir sortiert. Und auch mein bereits fertiges Manuskript, weil ich immer noch nicht in der Lage war, die damaligen Ereignisse zu erzählen.

 

Aber er las es nicht. Er rief mich an, sagte, ich solle ihm jetzt mal schnell erzählen, wie und was denn eigentlich damals genau passiert sei. Ich sagte ihm, dass ich das ja gerade nicht könnte, dass ich ihm deshalb doch mein Manuskript mitgegeben hätte, er bräuchte nur die ersten Seiten zu lesen …

 

Aber er herrschte mich immer eindringlicher an, er habe keine Zeit, Bücher zu lesen, stellte mir Maschinengewehr gleich seine Fragen … Ich zitterte am Telefon und konnte mich nicht mehr wehren. Meine minderjährige Tochter kam ins Zimmer sah mich und schrie: „Mama, was ist mir Dir, hör sofort auf, leg auf!“ - Aber da war es schon vorbei. Ich wollte doch nur noch, dass all das endlich aufhörte!

 

So ähnlich lief es dann mit meiner weiteren Unterschrift über die geringe Zahlung seitens des ersten Anwalts wegen seiner Fehler ab. Und wieder wandte der neue Rechtsanwalt den gleichen Trick an. Da es mir um meinen Berufsausfall ging, der in jedem Fall sehr hoch zu beziffern wäre - schließlich hatte ich sogar das Schreiben eines großen Fernsehsenders vorliegen, dass man mir einige große Filmaufträge pro Jahr gegeben hätte, wenn ich nicht erkrankt wäre - hatte ich stets den Schadensausgleich in dieser Hinsicht zum Ziel. Und wieder nutzte dies der Rechtsanwalt aus. Den würde er mir ausrechnen, sobald diese Angelegenheit mit dem ersten Rechtsanwalt aus der Welt wäre. Also unterschrieb ich. Nichtsahnend, dass ich damit den Großteil meiner Rechte gegenüber den Haftpflichtversicherungen der Ärzte aus der Hand gab! Ich wollte nur noch, dass alles endlich, endlich aufhörte. Alles wurde mir langsam egal. Ich wusste nicht genau, wovon wir leben sollten, aber da waren ja noch die Schadensersatzforderungen wegen des Berufsausfalls ...

 

Ich konnte nicht mehr und hatte dies in all der langen Zeit seit den Fehloperationen noch nie so deutlich gemerkt. Es war spürbar, dass meine Traumatisierung, statt besser zu werden, zunahm. Wie sollte sie bei all dem, was ich erleben musste, bei all dieser Verletzung meiner Persönlichkeit , dieser Missachtung meiner Person, und dem fortgesetzten, gezielten Betrug denn auch kleiner werden? Wie sollte ich jemals wieder ein menschenwürdiges Dasein bekommen, und mit all diesen Erfahrungen abschließen können? Wie hätte ich mir in dieser Zeit rechtliche Informationen einholen sollen, wie eine neue Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt befragen, der oder dem ich dann all das doch auch wieder nur ein weiteres Mal hätte schildern müssen? Ergänzt um alle weiteren Verletzungen, die ich inzwischen erlebte?

 

Wir hatten einen sehr harten Winter mit noch nie gesehenem, dicken Eis, das alles überzog. Ich schleppte mich nur noch so dahin. Ich bekam Bluthochdruck und Herzschmerzen. Am Samstag vor dem vierten Advent wollte ich mir bei Aldi neue Batterien für das Blutdruckmessgerät besorgen. Ansonsten hatte ich alles für die Weihnachtstage vorbereitet und freute mich. An diesem Tag schneite es in dicken Flocken. Die Kunden betraten den Laden mit dick eingeschneiten Schultern und Mänteln, die meisten klopften sich den Schnee erst einmal von der Kleidung. Dadurch hatte sich im Eingang eine knöcheltiefe Matsch- und Eisschicht aufgebaut. Bei Aldi liegen keine Fußmatten im Eingang, an denen man sich die Schuhsohlen trocknen kann wie in anderen Discountern und Geschäften. Ich hatte kaum meinen Fuß auf diese Fliesen-Eis-Fläche gesetzt, als dieser mir so davon schlitterte, dass ich zwar versuchte, mich zu fangen, aber dann mit voller Wucht so auf meinen aufgestützten Arm krachte, dass mir der Ellbogen auseinander driftete, die Knochen standen auf die seltsamste Art durcheinander auf den nachfolgend angefertigten Röntgenbildern, wie man es sich kaum vorstellen mag. Auch waren Teile des Gelenks gebrochen oder abgesplittert.

 

Man brachte mich mit der Feuerwehr ins Krankenhaus, wo mehrere Ärzte und Schwestern versuchten, mir den Ellbogen wieder einzurenken. Als man schon aufgeben wollte, trat ein beherzter, jüngerer Arzt zu mir, erklärte mir genau, wie ich mich zu verhalten hätte, damit wir gemeinsam den richtigen Moment abpassen könnten. Wir schafften es. Dann waren die Knochen wenigstens erstmal wieder am richtigen Platz. Dies alles war furchtbar schmerzhaft und einer Schwester tat ich leid: "Die Ellbogenluxation gehört zum Schmerzhaftesten, was es überhaupt gibt", meinte sie voll Mitgefühl.

 

Es wurde ein langer Weg für mich. Man gipste mir den Arm ein, aber meine Hand wurde so blau, dass ich schließlich kaum mehr einen Finger bewegen konnte. Mein Orthopäde schickte mir eine Physiotherapeutin nach Hause, die als Erstes mit mir übte, den Zeigefinger meiner auf dem Tisch aufliegenden Hand zu heben. Glücklicherweise erkannte dieser Orthopäde, dass mein Arm Symptome eines Morbus Sudeck (CRPS) aufwies. Deshalb wies er mich nach endlosen Wochen in eine Tagesklinik ein. Danach ging ich für ein Dreivierteljahr täglich für mehrere Stunden in eine Reha-Klinik. Mein Arm gehörte gar nicht mehr zu mir. Es war schwer für mich, in der Ergotherapie in eine Schale mit Erbsen und Murmeln zu greifen, um sie auseinander zu sortieren. Aber der Arm wurde an einem hohen Galgen aufgehängt. So ging es langsam, langsam voran.

 

Ich hatte nun Regressforderungen gegen Herrn Albrecht (er lebte damals noch) vor Gericht geltend zu machen. Und da ich bereits einen Anwalt hatte, gab ich ihm auch diesen Fall. Ich hatte durch meinen Sturz vor allem dadurch hohe Unkosten gehabt, dass ich bei dem Glatteis, das ja über Monate anhielt, täglich entweder ins Krankenhaus oder zum Orthopäden fahren musste. So entstanden viele teure Taxifahrten, die meine Krankenkasse nicht übernahm. Auch von der Therapie wurde manches nicht bezahlt. Insgesamt hatte ich schließlich Unkosten von mehreren tausend Euro. Ich sammelte alle Rechnungen. Aber wieder wurde nichts seitens des Rechtsanwaltes ausgerechnet.

 

Da bot man mir 2.000,- Euro als Entschädigung für eine Verletzung an, von der für mich noch nicht einmal das Ende abzusehen war, noch nicht einmal erkennbar war, ob ich jemals richtig genesen, jemals wieder meinen Arm würde richtig gebrauchen können. - Ich lehnte ab. Was meinen Mann furchtbar nervös machte. Er hatte Angst davor, ich könnte wieder in eine lange, rechtliche Auseinandersetzung hineingeraten. Er beschwor mich, ich solle das annehmen. Um mich zu schützen. Meine geschundene Seele!

Was ich jedoch vollkommen absurd fand. Waren doch meine Unkosten schon höher als diese Summe.

 

In der Gerichtsverhandlung waren Zeugen geladen. Die nette  Verkäuferin, die sich zu mir herabgebeugt hatte, als ich am Boden lag und mich nicht mehr bewegen konnte. Und auch der Chef der Aldi-Filiale. Und auch der Rechtsanwalt der Versicherung von Aldi war dort. Ich selbst hatte meinen Laptop mit Fotos dabei, die meine Tochter an einem folgenden Tag mit Schneetreiben beispielhaft vom Zustand des Eingangsbereiches des Ladens gemacht hatte. Und auch mein Mann saß neben mir.

 

Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Angestellten von Aldi so ehrlich sein würden. Die Verkäuferin schilderte genau, was mir passiert war, und dass es wirklich so furchtbar voller Schnee und Eis im  Eingangsbereich gewesen sei, furchtbar glatt auf den blanken Fliesen. Außer mir seien noch drei bis vier weitere Kunden an dem Tag gestürzt. Auch der Filialleiter bestätigte dies und erklärte, dass am letzten Samstag vor Weihnachten einfach zu viel Kundschaft da gewesen sei. Da es so ununterbrochen schneite, wären sie mit der notwendigen Reinigung einfach nicht nachgekommen.

 

Alle schienen sich also einig. Die Summe wurde etwas erhöht. Ich mochte dieses Gerede wie auf einem Fischmarkt nicht. Ich wollte gar keinen Vergleich! Wie konnte ich mich auf so etwas einlassen, wo nicht einmal klar war, mit welchen gesundheitlichen Folgen ich es noch zu tun bekäme, eine Heilung war doch noch gar nicht in Sicht! Nur der junge Richter wirkte langsam unzufrieden. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er sich mit dieser Angelegenheit nicht noch einmal auseinanderzusetzen gedachte. Ich sagte, dass ich aus gesundheitlichen Gründen keinen Vergleich wolle. Da schaltete sich der Rechtsanwalt der Aldi-Versicherung ein und meinte, mehr als 5.000,- Euro seien für ihn bzw. seine Gesellschaft nicht drin. Ich sagte wieder nein. Mein Mann neben mir rutschte nervös hin und her. Da wandte sich der Richter an meinen Rechtsanwalt. Sie kannten sich offenbar recht gut, hatten sich gleich zu Beginn der Verhandlung wie Kameraden begrüßt. Nun forderte er meinen Rechtsanwalt dazu auf, er solle doch jetzt mit mir vor die Tür gehen und mich davon überzeugen, dass eine Annahme des Angebots das Beste für mich sei.

 

"Meine Güte", dachte ich bei mir, "wo bin ich hier bloß gelandet?" Anscheinend betrachteten die mich als eine Art Spielzeugrassel, die man wie gewünscht in Gang setzen konnte. Oder eben auch abstellen. Im kalten Gang des Gerichtsgebäudes sagte ich "meinem" Rechtsanwalt vor der Tür des Verhandlungssaals, dass ich nicht zustimmen würde, weil schon die Unkosten für Therapien, die meine Krankenkasse nicht übernommen hätte, höher seien als die genannte Summe. Da warf er mir entgegen: "Ja, was haben Sie denn da auch für eine dämliche Versicherung! Da kann doch keiner was dafür!" -

Wie bitte??

 

Um es kurz zu machen, wir gingen wieder hinein, ich äußerte dem Richter gegenüber meine Zweifel. Dieser erwiderte mir, wenn ich diese Summe jetzt nicht annähme, wäre es "äußerst ungewiss", ob ich beim nächsten Verhandlungstermin nicht "komplett mit meine Ansprüchen" durchfiele, ja, wenn er genauer nachdächte, sei dies "sogar sehr wahrscheinlich"!!

 

Ich habe kapituliert. Und mich innerlich ein Stückchen weit von dieser Welt, in der so miteinander umgegangen wurde, entfernt. Niemand schien sich genauer für meinen gesundheitlichen Zustand zu interessieren, darum ging es gar nicht. Spätfolgen - ein nie gehörtes Wort. Auch meine Fotos solle ich dem Richter unbedingt nicht zeigen, meinte mein Anwalt. 

Ein starkes Gefühl der Entfremdung erfasste mich angesichts dessen, was ich hier erleben musste. Aber die Angelegenheit war "offiziell geregelt". 

 

 Als ich den Rechtsanwalt einige Zeit später - nach meiner Unterschrift wegen des ersten Rechtsanwalts - wegen meiner ärztlichen Fehloperationen anrief, um einen Termin zur Besprechung meiner ausstehenden Schadensersatzforderungen wegen meines Berufsausfalls zu vereinbaren, sagte er zu mir: „Sie bekommen bei mir keinen Termin mehr. Die Sache ist für mich erledigt!“ 

 

 Bis heute habe ich noch immer keinen Schadensersatz bekommen können. Mehr als sechzehn Jahre nach den ärztlichen Übergriffen auf meine Person.

 Mein Leid geht bis heute weiter. Immer noch reissen die Wunden in meinem feinen Gewebe fast täglich auf. In der Folge auf die Fehleingriffe platzte mir einige Jahre darauf mein Dickdarm, dann - wiederum einige Jahre später - erlitt ich einen lebensgefährlichen Dünndarmverschluss durch die vielen innerlichen Verwachsungen. Ich musste weitere, schwere Notoperationen überstehen, die ich um ein Haar nicht überlebt hätte. All dies, während ich "nebenbei" meine damals noch kleine, wundervolle Tochter quasi allein erziehen musste, denn mein Ehemann bekam Depressionen. Ohne meine Tochter wäre ich heute nicht mehr am Leben und hätte niemals diese Kraft gefunden

 

Inzwischen habe ich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt. Vor allem dadurch, dass ich immer und immer wieder selbst nachgrübeln muss. Dass es heißt, wieder und wieder all meine schriftlichen Unterlagen und Ordner für einen neuen Rechtsanwalt herauszusuchen, all das erneut zu sichten und zu kopieren ... Immer auf der Suche nach einem Rechtsweg zum Schadensersatz. So bin ich erst heute überhaupt in der Lage, mein Buch herauszubringen. 

 

Erst heute schreibe ich auch hier weiter. Aber dabei gerate ich immer wieder an den Rand meiner Kräfte, beginne zu zittern und komme nur sehr langsam voran. Ich könnte aus dem Stand über die weitere Krankengeschichte, das Abwimmeln seitens der ärztlichen Haftpflicht-versicherungen und das Ausgenommen-Werden durch skrupellose oder nachlässige Rechtsanwälte zwei bis drei weitere Bücher schreiben. Ich habe mich mit elf Rechtsanwälten beraten, vier von mir beauftragte Rechtsanwälte haben von meiner Rechtsschutzversicherung insgesamt etwa 55.000,- Euro an Honoraren und Vorschüssen kassiert. Der eine mehr, der andere weniger.

 

Manche haben dafür jede Menge Fehler gemacht, andere gar nichts getan, wieder andere haben mir sogar Summen, die mir zustehen, einfach einbehalten und eine gegen mich gerichtete Urkundenfälschung begangen. Sie wissen, dass ich dagegen machtlos bin, denn meine Rechtsschutzversicherung hat mir inzwischen gekündigt, weil die Summe, die zur Realisierung meines Rechts zur Verfügung stand, aufgebraucht sei, wie man mir sagte. So kommen meine Bemühungen heute ohne Ergebnis zum Stillstand. Ich begreife langsam, dass ich es mit einem System zu tun habe, gegen das ich als Betroffene nicht ankomme. Dass ich auf alle berechtigten Forderungen auf Schadensersatz verzichten, dass ich aufgeben muss.

 

Insbesondere der Vorletzte in der Reihe der Rechtsanwälte, ein Herr Dr. ..., spezialisiert auf Medizinrecht, hat es auf die Spitze getrieben. Er schloss hinter meinem Rücken einen Vergleich mit den ärztlichen Haftpflichtversicherungen in einer absurd niedrigen Höhe in meinem Namen, aber ohne meine Unterschrift. Und das soll jetzt die  Entschädigung für alle Zeiten sein. Und dies nicht nur in beruflicher, sondern in jeder noch möglichen Hinsicht sein. Auch - und dies stand weder zur Verhandlung, noch hatte er diesbezüglich meinen Auftrag - für alle eventuell später noch auftretenden, gesundheitlichen Schäden und Schmerzen.

 

Die Summe ist so niedrig, da dürfte ich pro Tag nur einige Cent verdient haben. Ein Tagesverdienst, der noch nicht einmal den Mindestlohn für eine einzige Stunde bedeutet! Die Abfindungserklärung, von der ich selbst erst nach wiederum ausgiebiger Recherche überhaupt Kenntnis bekam, trägt nicht meine Unterschrift, wurde aber bereits seitens meiner Rechtsschutzversicherung gegenüber dem "mich vertretenden" Rechtsanwalt anerkannt. Seine Rechnung, die er von meiner Versicherung ohne Kritik oder Rücksprache mit mir bezahlt bekam und von der ich ebenfalls nichts erfuhr, enthält daneben weitere falsche, und ausschließlich zu seinem Vorteil, berechnete Kostennoten. Dies erfuhr ich wiederum von einem weiteren Rechtsanwalt, der mir für seine Beratung gar nichts berechnete, weil ihm meine Geschichte nicht aus dem Kopf wollte.

 

Ich merke jetzt Folgendes: Seit zwei Ärzte in Deutschland bei meiner Behandlung - nennen wir es einmal so - einen "Fehler" gemacht haben, wurde ich irgendwie ausgesondert. Seitdem gehöre ich gar nicht mehr zu unserer Gesellschaft dazu! Man verfügt über mich - offenbar ist dies ganz legal -  ohne meine Zustimmung, ohne meine Unterschrift. Das fühlt sich an, als hätte man mich schon damals in ein Grab gelegt. Ohne dass jemandem auffiele, dass ich immer noch atme!

 

Jahre nach den Fehlbehandlungen kam es zur ersten Gerichtsverhandlung vor dem Landgericht. Hier wurde mithilfe einer widersprüchliche Formulierung eines Klinik-Chefarztes in meiner Patientenakte , die unüberprüfte und unhinterfragte Behauptung aufgestellt, ich sei nur wenige Monate nach den schlimmen Fehlbehandlungen vollkommen genesen gewesen. Zu dieser Zeit, das erzählte er mir selbst, hatte der MDK meiner Krankenkasse bereits einmal bei ihm nach einer Diagnose nachgefragt. 

 

Auf diesem vermeintlichen "Beweis" meiner vollständigen Genesung beruhen nun die niedrigen Berechnungen des Schmerzensgeldes, ja ruht der gesamte Prozess. Denn alles - dies war ein äußerst geschickter Schachzug - alles, was an Erkrankungen in nachfolgenden Zeiten hinzukam und noch käme, wurde somit abgekoppelt. So wie aus heiterem Himmel sind also inzwischen diverse Erkrankungen und Operationen "schicksalshaft" auf mich niedergefallen ... Nichts davon hat auf irgendeine Weise mit den Fehlbehandlungen zu tun. Wenn ich dies behaupten wollte, müsste ich das vor Gericht erneut beweisen. Aber das ist so gut wie unmöglich. Ich würde außerdem den ersten Prozesstag schon wegen der langen Wartezeiten gar nicht mehr erleben.

 

Ich lag genau zur Zeit dieses Patientenakten-Eintrags immer noch mehrheitlich den ganzen Tag. Es hatte sich innerlich eine inkomplette Fistel gebildet. Der Professor der Universitätsklinik wollte mich gerade deshalb genau zu diesem Zeitpunkt, es war kurz vor Weihnachten, einer weiteren, umfangreichen Operation unterziehen ... Aber ich konnte damals nichts mehr aushalten und habe diese abgelehnt. Genau aus diesem Grund suchte ich ja den neuen Facharzt an einem anderen Krankenhaus auf, der mir dann sozusagen vor Gericht einen ungeahnten Dolchstoß versetzte. Ich wollte von ihm wissen, ob ich mich wirklich sofort dieser weiteren Operation aussetzen müsste.

 

Der Grund dafür, warum dieser Chirurg so etwas - für mich vor Gericht Vernichtendes - in meine Krankenakte eingetragen hat, war übrigens nicht die vorherige Anfrage des MDK, über die er - wie er mir bei meinem nächsten Termin freiheraus erzählte - eher erbost war, weil er es als eine Unmöglichkeit empfand, mir, als seiner Patientin so hinterher zu spionieren. Der Grund war, dass er einen Medizinerkollegen beschützen wollte, mit dem er seit langen Jahren befreundet ist und zusammenarbeitet, und den ich früher auch einmal aufgesucht hatte. Ich weiß, dass beide die Sorge hatten, man könne womöglich gerichtlich auch versuchen, gegen seinen ärztlichen Freund vorzugehen. Diesem wollte er, als anerkannter Chefarzt, mit seiner Formulierung in meiner Krankenakte einen Riegel vorschieben. Allerdings notierte er: "Die Patientin ist subjektiv beschwerdefrei." Im Anschluss folgten die weiteren, medizinischen Befunde meiner Schäden. Er habe gemeint, dass es mir doch langsam ein wenig besser gehe, sagte er mir später auf meine Frage dazu.

 

Wie können Richter eine solche Formulierung dazu verwenden, zu behaupten, die Patientin sei also zu diesem Zeitpunkt vollkommen geheilt gewesen? Dies erklärt nicht, warum die Richter und Staatsanwälte so gierig nach der Möglichkeit griffen, mir meine berechtigten Forderungen abzusprechen und jedes Schmerzensgeld und jeden Schadensersatz so klein wie möglich zu halten. Denn - wie gesagt - die Formulierung war nur widersprüchlich. Zusammen mit meinen anderen Gesundheitsattesten und vor allem bei meiner Geschichte und meinem weiterhin bestehenden Leiden, konnte sie eigentlich gar nicht herangezogen werden! Außerdem war dieser Chirurg nicht dumm. Er log ja nicht. Zugleich bescheinigte er mir im gleichen Dokument weitere körperliche Krankheitsmerkmale. Die aber wurden seitens des Gerichts vollkommen außer Acht gelassen.

 

Schon meine damalige, neue Hausärztin erzählte mir übrigens davon, dass "der" vom MDK sie ständig meinetwegen bedrängte, weil ich zu lange krank wäre. Sie dürfe mich jetzt nicht mehr weiter krankschreiben! Hier handelt es sich um den „Medizinische Dienst der Krankenkassen“, der laut dem heutigen „Patientenrechtegesetz“ den Patienten bei der Durchsetzung ihrer Rechte behilflich sein soll. Eine weitere Fachärztin, bei der ich mich zur gleichen Zeit über all die Jahre fortlaufend in Behandlung befand, hatte für die Vorlage beim Gericht viele Seiten in meiner umfangreichen Patientenakte geschwärzt, weil es sich dabei um "ihre eigenen persönlichen Anmerkungen" handle. Auch das wurde akzeptiert.

 

Ich selbst habe auch versucht, mich in der forensischen Anatomie unserer Universitätsklinik vorzustellen, mich untersuchen, und mir eine Bescheinigung über meine körperlichen Schädigungen ausstellen zu lassen. Damit wurde und wird ja insbesondere für Opfer von Gewaltstraftaten geworben. Als man schon gleich am Telefon genauer nachfragte, wo es passiert sei und ich erwähnte, in einer Arztpraxis, wies man mich sofort ab. Das ginge leider nicht. Arztfälle würden nicht aufgenommen und angeschaut. Auch beim „Weissen Ring“, wo ich mich wegen meiner Traumatisierung kundig machen wollte, reagierte man gleich. Ärzte, nein, da machen wir nichts, das machen wir nicht.

 

Es gab viele, viele, mögliche Zeugen, die alle nicht  befragt wurden. Weder von der Staatsanwaltschaft, noch in den zivilrechtlichen Verhandlungen. Ich selbst auch kaum, bzw. nur zu unwichtigeren Fragen. Wenn ich vor Gericht etwas anmerken wollte, ermahnte man mich zur Ruhe und sagte, ich wäre jetzt nicht dran. Ich war im Besitz zahlreicher, ärztlicher und heilpraktischer Atteste über meinen katastrophalen, körperlichen und inzwischen auch psychischen Zustand, aber die wurden seitens des Oberlandesgerichts vom Tisch gewischt, mit der Urteils-Bemerkung, ich hätte nicht richtig an der Prozessführung mitgearbeitet. Deshalb könne man diese Atteste jetzt nicht mehr berücksichtigen.

 

Die Staatsanwaltschaft zog einen medizinischen Gutachter hinzu, der mit dem angeklagten Chirurgen bestens bekannt ist. Dieser"Gut"-Achter urteilt über meinen Fall, ohne nur eine einzige Krankenunterlage von mir einzusehen, geschweige denn, mich zu untersuchen oder zu befragen. Dabei bezieht er sich ganz offiziell ausschließlich auf die Ausführungen der Rechtsanwälte der beiden angeklagten Ärzte. Auf zehn Seiten voller Widersprüche schreibt er, die Operation sei völlig korrekt ausgeführt worden. Meine Akte wird unter Bezug auf dieses "Gutachten" von der Staatsanwaltschaft sofort geschlossen, die Ermittlungen eingestellt, ohne dass auch nur die geringste Klärung meiner "medizinischen" Behandlung herbeigeführt worden wäre. Weder in der Tatsache, dass die vermeintliche "Operation" des Chirurgen von 1882 oder vielleicht auch aus den 1930er Jahren stammte, so dass ihre furchtbaren, körperlichen Folgen längst bekannt sind und sie keine Anwendung mehr finden sollte, noch in meiner fehlenden Einverständniserklärung erkannte der Staatsanwalt auch nur das kleinste Problem. In den Stellungnahmen von Staatsanwalt und - weil ich dagegen Einspruch erhoben hatte - Oberstaatsanwalt wird all dies in unfassbar spitzfindigen Schlussfolgerungen zerredet. Eine genaue Diagnose oder Operationsbezeichnung konnte der Chirurg auf die Frage des Richters hin übrigens nicht benennen. Auch dass der Arzt - ich lag noch in örtlicher Betäubung auf seinem OP-Tisch - Polaroidfotos von mir machte, die er mir mit den Worten: "Schauen Sie mal,  jetzt  haben Sie doch einen schönen Po!" vor meine, von der Betäubung und den Schmerzen getrübten Augen hielt, blieb vollkommen unberücksichtigt. Nur ein "Kavaliersdelikt"?!

 

Soll ich an dieser Stelle erwähnen, dass eine neue Gynäkologin, die ich Jahre später aufsuchte, weil mein alter Frauenarzt seine Praxis aufgegeben hatte, mir prompt den Namen des betreffenden Chirurgen nannte, als ich ihr von dem seltsamen Eingriff erzählte? - Ich habe nie seinen Namen genannt, auch bei ihr nicht. All dies zeigt mir, dass ich wohl nicht allein betroffen sein dürfte. 

 

 Ich bin auch nicht allein. Die Zahlen, zum Beispiel allein der AOK-Krankenhausbericht belegen, dass wir von mehreren hunderttausend Menschen ausgehen müssen, die jährlich von einem Arztfehler in ihren Lebensgrundlagen erschüttert werden.

 

Diesen Menschen, den betroffenen Patienten, allein die Beweislast für alle nur denkbaren und möglichen Kausalzusammenhänge aufzubürden, ist für mich menschenverachtend und durch nichts zu rechtfertigen. Die schlimme Situation und die Hilfsbedürftigkeit, in die die Opfer von ärztlichen Fehlbehandlungen allein durch diese erst geraten, bleibt hier vollkommen unberücksichtigt. 

 

Nach meinen Erfahrungen und nach der momentanen Fassung des „Patientenrechtegesetzes“ existieren die Rechte der Patientinnen und Patienten nur im Wort, nicht aber für das Leben der unfassbar vielen Betroffenen.Dies ist der Grund für meine Petition, in der ich die zuständigen Politiker um das Folgende bitte:  „Bitte verlagern Sie die Beweislast in Arzthaftungsfällen auf den Arzt, der die Behandlung durchgeführt hat. Hierdurch tragen Sie Sorge dafür, dass im Patientenrechtegesetz die außerordentlich leidvolle und existenzbedrohende Lage der Opfer von ärztlichen Behandlungsfehlern Berücksichtigung findet.“

 

Erst wenn die Rechte von Patientinnen und Patienten endlich klar und deutlich festgeschrieben werden, so dass sie auch realistisch - und von jeder Staatsanwaltschaft und jedem Richter gleich - umsetzbar sind, würde der Verhöhnung und dem Profit, die die ärztlichen Haftpflicht-Versicherungen mit den Betroffenen betreiben, endlich ein Ende gesetzt werden. Aber nur so!

 Dann würde die Veröffentlichung meines Buches einen besonderen Sinn erhalten. Denn dann nähme meine Geschichte zumindest insofern ein gutes Ende, als sie dazu angetan wäre, die Situation aller Betroffenen zu verändern.

 

Alles weitere Hinauszögern und Taktieren aber bedeutet Für hunderttausende Menschen jährlich eine weitere Verletzung in ihren Grundrechten. Deutschland ist schon im Grundgesetz und nach der 1950 unterzeichneten „Europäischen Menschenrechtskonvention“ gehalten, die Menschenwürde seiner Bürger sowie das Recht auf Unversehrtheit zu schützen (besonders Artikel 2 „Recht auf Leben“). Ein Zwischenfall in einer ärztlichen Behandlung darf nicht dazu führen, dass der Betroffene im Anschluss durch Gesetzesvorlagen in eine Situation unmenschlicher Härte, Unsicherheit und Unwürdigkeit hinein manövriert wird. 

 

Es sollte auch nicht so sein, dass die Bundesrepublik Deutschland in einer Opferschutz-Angelegenheit eines der Schlusslichter in der Reihe der europäischen Länder darstellt.

 

Morgen kann jeder aus unserer Gesellschaft betroffen sein.

 

für die Opfer von ärztlichen Behandlungsfehlern!

BITTE UNTERZEICHNEN!